Es ist eine dieser befreienden Paradoxien des Zen, dass, wenn wir in der Gegenwart sind, die Idee perfekt sein zu wollen, keinen Sinn macht.
Meine Zen Übung, das ZaZen, (ruhiges, absichtsloses Sitzen in vollkommener Präsenz) erinnert mich daran, dass ich, so wie ich mich in der Gegenwart vorfinde, vollkommen das bin, was ich zu diesem Zeitpunkt sein kann. Wenn ich mich auf mein Kissen setze und die ZaZen-Haltung einnehme, richte ich mich auf und werde in dieser Aufrichtung daran erinnert, „JA“, so bin ich in diesem gegenwärtigen Moment. Ich werde ganz sicher nicht so bleiben, weil sich alles verändert. Aber jetzt finde ich mich hier so vor wie ich bin.
Vielleicht nehme ich eine gewisse Emotion wahr, die durch eine Beobachtung, ein Ereignis, eine Befürchtung oder eine Erinnerung ausgelöst wurde. Wenn es mir gelingt ohne Widerstand „JA“ zu sagen zu dieser Emotion, dann bin ich vollkommen gegenwärtig und nichts muss hinzugetan oder weggenommen werden.
Viele Menschen denken, sie sollten Zen üben um einen bestimmten emotionalen Zustand zu erreichen. Zen entzieht sich diesem „um zu“. Wir üben Zen um Zen zu üben. In dem Moment, in dem wir auf unserem Kissen angekommen sind, ist alles getan. Es gibt nichts zu erreichen, nichts zu gewinnen oder besser zu machen, als es gerade ist.
Wir setzen uns auf unser Meditationskissen, richten unseren Oberkörper auf, verankern uns mit Knien und Po auf der Unterlage und nehmen unseren natürlichen, unbeeinflussten Atem wahr. Damit sind wir mit unserer gesammelten Präsenz vollkommen da, wo wir vollkommen sein können. Es gibt nichts hinzuzufügen oder wegzunehmen. Wenn wir da angekommen sind, ist heitere Gelassenheit eine Emotion, die uns immer häufiger begleitet. Sie ist aber nicht der Grund, warum wir sitzen. In dem Moment, in dem wir sitzen um diese oder eine andere Emotion zu spüren, sind wir nicht mehr in der Gegenwart, sondern in der Zukunft und alles ist verloren bis zum nächsten präsenten Atemzug, der uns wieder in die Gegenwart begleitet.
Weil wir diese einfache Gesetzmäßigkeit immer wieder vergessen, ist es hilfreich zu üben, allein oder in einer Gemeinschaft (Sangha). Die Regeln und Rituale, der besondere Ort und die Klarheit des Tuns unterstützen uns dabei, in der Gegenwart zu verweilen. Eine Lehrerin oder ein Lehrer, zu der/dem wir Vertrauen haben, kann eine hilfreiche Unterstützung sein. Zen ist immer eine Einladung und nie eine Verpflichtung. Dennoch gibt es Hindernisse und Widerstände auf dem Weg, die leichter in einer Gemeinschaft und mit einem Lehrer zu ertragen sind. Eine/n Lehrer/in zu finden, zu der/dem ich Vertrauen habe und die/der zu mir passt, ist weder leicht noch schwer; ich muss mich nur entscheiden.
ZaZen erinnert uns an das Nichts, die Leere. Immer wenn wir etwas „sind“, oder etwas „sein“ wollen oder denken, dass wir etwas sein sollten, sind wir nicht vollkommen bei uns. Das Sein gebiert augenblicklich einen Mangel, weil es verbunden ist mit einem Urteil, einem Vergleich, einer Abgrenzung. Wenn ich festlege wer ich „bin“, lege ich damit auch immer fest, wer und was ich nicht bin und ich gerate in Schwierigkeiten, weil ich auf das schaue, was ich nicht bin und den Mangel als Schmerz empfinde.
Zen fördert die Erkenntnis - durch das Tun, das stille, absichtslose Sitzen - dass wir in der Gegenwart vollkommen sind, indem wir nichts sind. Kobun Chino Otogawa Roshi wurde einmal nach dem Sinn des ZaZen gefragt; hier seine Antwort:
Soweit Kobun Chino der begründer unserer Zen-Linie.
Zen ist der Weg. Heiteres Verweilen,
ohne dass wir einen Ort hätten im Nirgendwo,
der bliebe.
Kurt DaiHiDo Südmersen